Ein Junge vom Dorf in den Fußstapfen Buddhas

Dies ist die Geschichte von Nam Nan. Sie spielt im Nordwesten Thailands. Der Neunjährige ist der Stolz seiner Mutter Angoon („Söhne bringen Glück“), ein liebenswerter, charmanter, ein ruhiger Geselle. Doch mit der Ruhe ist es nun vorbei. Denn Nam Nan wird drei Tage lang das Leben Buddhas nachspielen. Erst als Fürstensohn Siddharta Gautama im prächtigen Gewand, dann in der einfachen Robe des Mönchs. So ist es seit hundert Jahren Brauch in der Provinz Mae Hong Son, wo – diesseits und jenseits der Grenze zu Myanmar – das Bergvolk der Tai Yai (burmesisch: Shan) zuhause ist.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Seit Jahren schon wollte ich Poy Sang Long, das alljährliche „Fest der Kristallsöhne“, live erleben. Nach einem Luftsprung von Chiang Mai nach Mae Hong Son, über hoch gelegenen, stets nebligen Regenwald, bin ich nun ganz nah dran. Der Flug dauerte nur 25 Minuten, in denen die Propellermaschine der Bangkok Airways allerdings mit einer turbulenten Choreografie die Achtsamkeit der Passagiere schulte.

Im Dorf Ban Pha Bong bin ich nun für einige Tage der einzige Fremde. Aber mit Familienanschluss. Denn Nam Nans Mutter ist eine Freundin meiner Frau und hat mich eingeladen. Ein Privileg. Ich wohne im Pitchapon-Resort, im „Mango-Haus“, einem kleinen Bungalow am Rande eines Reisfeldes. Die Anlage gehört dem Dorfvorsteher.

Angoon hat mich am Flughafen abgeholt, und wir fahren direkt zum Tempel. Denn dort wird rasiert.

Haare lassen und Glatzen betasten

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Und Schnitt: Das erste von vielen Ritualen. 18 Knaben müssen Haare lassen. Wie seine Kameraden, so blickt auch Nam Nan der Prozedur mit gemischten Gefühlen entgegen. Sonst hat er den Schalk im Nacken, nun die Klinge des Mönchs. Es ist ihm eine Ehre, aber weh tut es trotzdem. Die Zeremonie endet im nahe gelegenen Bach, wo die Kahlen ihre Kopfhaut kühlen und Glatzen betasten.

„Morgen“, sagt mir Angoon anschließend, „haben die Jungen ihren ersten großen Auftritt. Um vier Uhr.“ „Morgens“, fügt sie freundlicherweise hinzu. „Ist das okay für dich?“ „Natürlich“, sage ich. Genau meine Zeit. Tiefschlaf.

Mein Kampf mit der Thai-Zeit

So schlafwandle ich um 3.45 Uhr die anderthalb Kilometer zum Tempel. Ban Pha Bong liegt im Dunkeln, bei etwa 25 Grad schon jetzt, am Tag werden es 35 sein. Mich wundert, dass ich allein unterwegs bin. Am Tempel, auch hier kein Licht, bin ich der einzige Kunde. Also wandere ich zurück und schlafe tief, als Angoon an die Tür meines Bungalows klopft.

Es ist sechs Uhr. „Ich dachte schon, du kommst nicht“, sagt sie, „wir haben uns Sorgen gemacht!“ „Ich war schon um Vier am Tempel“, sage ich. „Langsam müsstest du doch wissen, dass Thais immer etwas später kommen“, entgegnet Angoon.

Um fünf Uhr war die Hütte voll. Das Schminken, das Anlegen des floralen Kopfschmucks und das Ankleiden von Nam Nan habe ich verpasst, zum ersten Segen der Novizen erscheine ich gerade noch rechtzeitig.

Über die Hauptstraße führt der Premierentanz der kleinen Derwische – auf den Schultern der männlichen Verwandten – in „mein“ Resort. Denn dort bittet der Dorfvorsteher zum Gruppenfoto.

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Die große Parade

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Sechs Uhr morgens, da waren sich mehrere Quellen einig, sollte sie los gehen am nächsten Tag, die große Parade. An die buddhistischen Anstoßzeiten muss ich mich noch gewöhnen. Andererseits wollte ich nicht ausgerechnet den Gipfel der Feierlichkeiten verpassen. Das ist mir auch gelungen.

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Um Sechs bin ich am Tempel. Außer mir am Start: 1 Mönch. „Wie lange lebst schon in Thailand?“, fragt er mich. „Acht Jahre.“ „Da müsstest du doch wissen, dass die Thais gerne etwas später…“ Ist ja gut.

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Deutsche Pünktlichkeit taugt in Thailand nicht einmal zur Sekundärtugend. Die Parade beginnt um 8.10 Uhr.

Genau (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Ein Dorf zieht durchs Dorf

Dinner am Ortsrand

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Buddhistische Rituale sind näher am Leben – zumindest so wie ich das Leben verstehe. Es bleibt immer Zeit und Raum für Thailands wahre Obsession: das Essen. Keine Spur vom tödlichen Ernst katholischer Zeremonien, wie sie in meiner Erinnerung eingebrannt sind. An diesem Abend am Ortsrand stört es keinen der älteren Mönche, dass die Novizen bei den gewohnt langatmigen Gebeten selten still sitzen können.

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Die Heimkehr des Prinzen

Ein unvergesslicher Abend. Oma kocht auf offener Flamme, die Kinder platzen vor Energie, Opa und Co. tragen Nam Nan auf den Schultern; auch ich darf eine tragende Rolle spielen in diesen völlig losgelösten Stunden: Der kleine Prinz ist zuhause; er genießt die Zuneigung, Wärme, Geborgenheit.

Ein letzter Tanz mit wunden Schenkeln

Poy Sang Long Mae Hong Son
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Am nächsten Morgen, beim letzten Tanz, geben die Novizen noch einmal alles. Die Ordinierung zum Mönch steht bevor und danach der Gang ins Kloster. Die Helden sind müde. Nam Nan sitzt auf seinem Hocker wie ein Boxer nach dem Schlussgong. Befächert von Verwandten, das Handy in der Linken, einen Handventilator in der Rechten. Seine Mutter, Masseurin von Beruf, lindert die wunden Schenkel.

Der Fürstensohn wird Mönch

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Finale: Der Prinz wird Mönch, auf vollem Magen, wir sind schließlich in Thailand. Nach dem Rasieren der Augenbrauen und geschminkt sehen die 18 Jungen nun aus wie Mädchen. Mit dem Gewand legen sie Tand, Glitter und irdische Genüsse zur Seite; die Mönchsrobe verheißt bescheidenere Freuden. Nam Nan wird mindestens eine Woche im Kloster bleiben, das ist Pflicht. Er allein entscheidet, ob er länger dort bleibt oder in die Schule zurückkehrt.

Mae Hong Son an der Nordspitze Thailands (zum Vergrößern auf die Karte klicken)

Fotos+Videos: Faszination Fernost/Bernd Linnhoff

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