Stürmischer Ausflug ins Herz der Finsternis

„Eine schweigende Wildnis, groß und unbesiegbar wie das Böse oder die Wahrheit“ (Joseph Conrad)

Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff

Borneo war für mich als Kind die ultimative Vorstellung von undurchdringlichem Dschungel, von Schlangen und Menschenaffen, von Abenteuer, Geheimnis, Gefahr auch. Seit ich in Thailand lebe, schaue ich mich immer mal wieder um im malaysischen Teil Borneos. Träume haben ein langes Leben.

Aber ich bin spät dran.

Wir sind auf Tour in der Provinz Sarawak. Jerry, unser Fahrer, ist ein freundlicher Mensch, der gerne über die Geschichte seines Volkes plaudert. Über die raue Vergangenheit der Iban, seiner Vorfahren, die Kopfjäger waren und selbst längst Historie sind. Jerry fährt für Uber, am Rückspiegel baumelt Jesus am Kreuz, denn Jerry ist christlichen Glaubens. Die Kopfjäger fahren Taxi – soviel zum Thema Evolution.

Glühwürmchen oder Krokodile?

Regenwald bis zum Strand (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Auf der größten Insel Asiens haben Palmöl-Plantagen an vielen Stellen längst den Regenwald verdrängt. Vielleicht aber, das ist unsere Hoffnung, erhaschen wir heute am frühen Abend noch einen Abglanz vom einstigen, vom wilden Borneo.

Nasenaffen. Delfine. Krokodile. Diese Tiere gibt es hier. Nun hängen sie als Versprechen in der feucht-warmen Luft und setzen sich dort fest. Das Boot wartet schon in der beginnenden Dämmerung. Werden wir mehr zu sehen bekommen als die Glühwürmchen, die nach Einbruch der Nacht die Mangroven erleuchten?

Unser Bötchen (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Freund John und ich fahren um die abgelegene Halbinsel Santubong herum, vom Damai Beach aus ein Stück übers offene (Südchinesische) Meer und dann in die Feuchtgebiete hinein, in die Nebenarme des Santubong River.

Vier Malaysier sind mit von der Partie an diesem Abend im Juli. Richie, unser Guide, ermahnt uns, die Hände nicht ins Wasser zu halten. Krokodile. Die Irrawaddy-Delfine, hauptsächlich in Myanmar zuhause, werden wir heute nicht zu Gesicht bekommen, das steht schon früh fest. Schade genug. Wir wissen, wir sind hier nicht im Zoo.

Der Nasenaffe an sich (Foto: John Fengler)

Mehr Glück haben wir bei den bei den Proboscis. Die Affen mit den längsten Nasen gibt es nur auf Borneo, etwa 7000 sollen es noch sein. Wir schauen angestrangt in den Blätterwald, Bewegung in den Sträuchern deutet auf umtriebige Affen, aber wir sind doch weit entfernt. Die Nase, dient, ja genau, dem alleinigen Zweck, einen Partner zu finden. Größe zählt eben doch.

Es wird langsam dunkel, die Krokodile halten sich weiterhin bedeckt. Wir fahren noch einmal am muslimischen Fischerdorf vorbei, wo der Muezzin gerade zum Gebet ruft. Es dämmert, und bald spähen wir in die Nacht, als rechneten wir jeden Moment mit Colonel Walter E. Kurtz – Apocalypse now; in unserer Fantasie reiten Wagners Walküren.

Richie startet einen weiteren Versuch, Krokodile zu sichten. Er hat schon viele dieser Reptilien gesehen, das größte war fünf Meter lang. Richies Neffe ging schwimmen vor drei Jahren im Santubong River. Sein Körper wurde gefunden, der Kopf nie. Seither rät Richie vom Schwimmen ab.

In einem der engen Seitenarme haben wir Glück. Allerdings hätten wir den kleinen Alligator (oder ist es ein Kaiman? Beide Arten kommen hier vor) in der hereinbrechenden Nacht nicht einmal geahnt. Doch Richie leuchtet ihm mit der Taschenlampe direkt in die Augen. Obwohl nur ein Schemen, beeindruckt uns das Tier weit stärker als ein scharf gefilmtes Krokodil in einer TV-Doku. Unser Exemplar ist eben nicht aus zweiter Hand.

Die Ruhe vor dem Sturm (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Wir beschleunigen zurück in die offene See, es ist stockdunkel nun. Ab und zu tastet der Strahl der Taschenlampe übers unruhige Meer, damit wir nicht in ein anderes Boot hineinschmettern. Von jetzt an bestimmen allein die Elemente, wie schnell wir den Strand erreichen, das beruhigende Ufer.

Ein paar Tropfen fallen; zehn Sekunden später toben Sturm und Regen horizontal von Backbord in unsere Schaluppe hinein. Nach 30 Sekunden sind wir alle nass bis auf die Haut, versuchen vergeblich, uns wegzuducken. Und noch liegen dreißig Minuten vor uns. Selbst der Skipper und Richie sind überrascht vom plötzlichen Wetterumschwung, was unseren Puls nicht beruhigt. Nach rasanter Fahrt durchs Herz der Finsternis legen wir an.

Nun wissen wir: Borneo kann es noch. Auch ohne Kopfjäger.

Video: B. Linnhoff

Musik: „Borneo Happiness“ (Interpreten: Baby Borneo feat. Vuu Cungkriink)

Fotos: B. Linnhoff, John Fengler (1)

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Wo die Affen wild gemacht werden
Wenn der Nasenaffe angibt
Rund ums Ei – Schwalben und Schildkröten
Gaya Island – Dschungel mit Bart