Willkommen im Jahr der Askese

Auf dem Rückflug von Deutschland nach Thailand lese ich Martin Suters Buch „Abschalten“, es wird ein Omen sein. In gewohnter Brillanz schildert Suter am Beispiel der (Schweizer) Manager-Kaste deren Unfähigkeit, sich im Urlaub auf Frau, Kinder, Strand und Nichtstun einzulassen und Firma sowie Kommunikationskanäle loszulassen.

Ich bin auf dem Weg zur Insel Koh Kood, auf dem Weg zur totalen Entspannung. Ich bin kein Manager und habe weder Frau noch Kinder noch eine Firma – da ist also nichts, auf das ich mich einlassen müsste. Und loslassen müsste ich nur die Kommunikationskanäle – genau an denen hänge ich allerdings.

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Erste Station: Der schnuckelige Flughafen von Trat (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Zum Jahreswechsel erwische ich via Telefonbuchung die letztmögliche Unterkunft: Montana Hut, umgerechnet 22 Euro pro Nacht. Die Unterkunft sei recht abgelegen, sagt man mir, und das benachbarte Khlong Hin Beach Resort am gleichnamigen Strand fest in russischer Hand. Letzteres stört mich nicht, die Lage aber erfordert eine neue Defintion des Begriffs „recht abgelegen“. Noch weiß ich nicht, dass hier letztlich alles abgelegen ist, zunächst einmal das Eiland selbst.

Koh Kood Princess heißt die Fähre, die gut eine Stunde braucht vom Festland nahe Trat bis zum Pier von Ao Salad, einem Fischerdorf auf Stelzen. Der Ankunft folgt eine 40minütige Hügel- und Talfahrt mit umgebautem Pick-up auf der Ringstraße der Insel, ehe wir noch einmal 15 Minuten über Stock und Stein zum Quartier holpern. Montana Hut: Fünf kleine Bungalows, an einer Lagune gelegen. Silvester: Der Rest des letzten Tages des Jahres liegt vor mir. Anfangen mit Abschalten.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Abschalten kann ich gut, von jetzt auf gleich. Vor allem dann, wenn genügend Lesestoff in Griffweite liegt. Dazu habe ich den Rechner dabei, über Monate gespeicherte Internetlinks wollen angeklickt und ihre Inhalte gelesen werden.

Das Mobiltelefon ist nun ausgeschaltet, die Welt also außen vor, eine stabile Internetverbindung, mehr brauche ich jetzt nicht. So möchte es der moderne Reisende: möglichst wenige Mitmenschen an den Stränden und auf den Straßen bei perfekter Infratruktur. Bei meinem Besuch auf Koh Kood aber war ein Internetzugang noch eine Rarität, so lernte ich, und in meiner Hütte blieb er reine Illusion. Die nächste kalte Dusche war jene im Bad. „Nächstes Jahr“, versprach die bemühte Eigentümerin Tum, „haben wir WiFi und warmes Wasser.“ „Das ist ja schon morgen“, sage ich. Tum lächelt auf diese subtile, leicht zweifelnde Art, mit der die Thais manchmal Ausländer anstaunen. „Komische Leute seid Ihr“, sagt dieses Lächeln, „aber wir halten das aus.“

Ich setzte meine Kopfhörer auf, um mich meinem Blues auch musikalisch zu ergeben, alle Nebengeräusche blieben außen vor. Als ich die Kopfhörer wieder absetzte, fiel mir auf, dass es keine Nebengeräusche gab. Koh Kood war nicht ruhig, sondern still. Nirgends sonst war ich meinem Tinnitus so nahe.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Mangels Alternative gehe ich an diesem denkwürdigen Silvesterabend sehr früh zu Bett, mangels Alternative mit Philippe Djians Roman „Wie die wilden Tiere“. Ein größerer Gegensatz zwischen Fakt und Fiktion lässt sich in diesem Moment nicht denken. Russische Raketen reißen mich aus dem ersten Schlaf, ein Feuerwerk am gerade mal 30 Meter entfernten Traumstrand empfängt das neue Jahr standesgemäß. Meine Hoffnungen auf eine erholsame Nacht zerschlagen sich anschließend an der knüppelharten Matratze; am Morgen benötige ich gut sieben Minuten, um mich aufzurichten. Ein Kickstart ins nächste Jahr sieht anders aus.

„Wie hast du geschlafen“, fragt Tum beim Frühstück. „Schlag noch ein paar Nägel in die Matratze“, sage ich, „jetzt beginnt das Jahr der Askese.“ Nun muss ich ihr den Begriff Askese erklären. Danach bringt sie eine weiche Decke, die auf die Matratze gelegt wird und die folgenden Nächte erträglicher machen soll. So langsam freunde ich mich an mit Koh Kood.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Thailands letzter Inselschatz?

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Nichts tun ist auch keine Lösung

Mein kümmerlicher gedruckter Lesevorrat (2 Bücher und ein paar Magazine) geht schnell zur Neige. Was kann man als Solist (eine seltene Spezies hier) tun auf Koh Kood außer nichts? Im weißen Sand liegen, schwimmen im kristallklaren Wasser natürlich, Kajak fahren in den Buchten und kleinen Flüssen, Schnorcheln, Tauchen oder auch per Speedboat von Insel zu Insel hüpfen, zu den Kleinoden in der Nähe: Koh Wai, Koh Kradat, Koh Rayang, Koh Laoya und Koh Mak, von der Sunday Times schon 2006 zu den „World`s Top Ten Secret Beaches“ erkoren.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Ich mietete einen Motorroller für 300 Baht (ca. 7,50 Euro am Tag), eine gute Wahl. Das ideale Gefährt, um ein Paradies zu entdecken – so oder ähnlich muss es auf Phuket oder Samui gewesen sein vor 30 Jahren. Im Inselinneren dichter Dschungel, Wasserfälle, Palmenhaine, nur hin und wieder unterbrochen von Kautschuk-Plantagen. Phantastische Strände vornehmlich an der Westküste, Resorts von einfach bis luxuriös, eingepasst in die natürliche Umgebung. Drumherum: Nichts.

Den ersten Geldautomaten auf Koh Kood gab es 2017

Inzwischen gibt es drei ATMs, immerhin. Und seit der Verlegung eines größeren Kabels vom Festland haben die meisten Unterkünfte WiFi und die Internetverbindungist generell gut! Es gibt kleine Supermärkte, zwei Schulen, ein staatliches Krankenhaus und eine Tankstelle, die man erst einmal finden muss. Die Elektrizität wird aus Solarkraft gewonnen.

Tarzan ist wieder da (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Von seiner Abgeschiedenheit, von seiner vermeintlichen Rückständigkeit und dem Mangel an künstlich geschaffenen Highlights profitiert das Eiland Koh Kood bis heute. Wie lange noch?

Ankunft (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Früher brauchte es mindestens sieben Stunden vom 82 km entfernten Laem Sok Pier nahe Trat, heute sind es anderthalb mit dem Speedboot, zwei Anbieter teilen sich die Kunden: Koh Kut Express (T: +66 90 506 0020 und +66 87 785 7695) sowie Boon Siri High Speed Ferries.

Noch gibt es nur etwa 100 Autos auf der immerhin 105 Quadratkilometer großen Insel, Pick-ups meist, zum Transport von Touristen oder Material. Bisher haben sich die etwa 2000 Einheimischen erfolgreich gegen regulären Autoverkehr gewehrt. Wann fällt diese Bastion? Denn die Insel verändert sich, seit Jahren und immer schneller. „Wird Koh Kood das Samui der Neuzeit?“, fragte schon die New York Times 2010.

Koh Kood (2) – Vom Paradies zur Destination?

Externe Links:

Tipps für Koh Kood

Information/FAQ Koh Kood