Erinnerungen an Uli Blankenhorn und Ben Wett

Uli Blankenhorn ist tot. Er starb im Alter von 81 Jahren nach schwerer Krankheit. Zu Beginn der Achtzigerjahre war Uli mein dpa-Kollege im Landesbüro Stuttgart. 1988 und 1992 kreierte er für Daimler-Benz die Olympiaclubs in Seoul und Barcelona, wo wir erneut zusammenarbeiteten.

In Seoul gab es im achten Stock eines Hochhauses eine Ausstellungsfläche, wo sich deutsche Unternehmen präsentieren konnten. Am großzügig dimensionierten Daimler-Stand interviewte ich jeden Tag MedaillengewinnerInnen aus aller Welt. Tagsüber schaute ich mir im Fernsehen die Wettbewerbe an, gegen 19 Uhr begann meine Moderation. Dann ging die etwa 40 Meter entfernte Hallentür auf und meine InterviewpartnerInnen schlenderten herein.

Erst dann wusste ich, wen ich interviewen würde. Das konnte der ungarische Olympiasieger im Modernen Fünfkampf sein, aber auch ein Weltstar wie Jackie Joyner-Kersee oder ein Trupp deutscher Reiter und Reiterinnen, die im Springen, in der Dressur oder im Gelände ebenso alles abgeräumt hatten wie die deutschen Fechterinnen auf der Planche. Vorbereiten konnte ich mich nie, Google war noch nicht am Start. 

Eines Abends, 24 Stunden nach der sensationellen Disqualifikation des 100m-Olympiasiegers Ben Johnson wg. Dopings, schlenderten neun schwarze Leichtathleten auf unseren Stand zu, alle im Anzug, was das Erkennen erschwerte. Carl Lewis, nun offizieller Goldmedaillengewinner statt Johnson, konnte ich ebenso leicht identifizieren wie seine Schwester Carol, Linford Christie und 400m-Olympiasieger Steve Lewis. Neun Interviewpartner – da musste ich mich zwischen den Ur-Reflexen Kampf oder Flucht entscheiden.

Ich wählte die Flucht und zwar an unsere Bar. Dort stand Ben Wett, der eigentlich Bernd Nass hieß, aus Hannover kam und mit 18 Jahren in die USA ausgewandert war. Aus den Staaten präsentierte er für die ARD alle Facetten des US-Sports, wobei er auch von seiner Freundschaft zu Muhammad Ali profitierte. In Deutschland hatte Ben wegen seiner unnachahmlichen Diktion – feinstes Hochdeutsch (Hannover!) mit American English Akzent – viele Fans, aber vor allem wegen seiner Fachkenntnis.

„Herr Wett“, sagte ich also, „wir haben uns vor zehn  Jahren mal in New York bei einem Cosmos-Spiel kennengelernt, woran Sie sich zurecht nicht erinnern. Ich bin hier der Moderator. Da vorne kommen neun Menschen, von denen ich nur einige auf Anhieb erkenne, aber alle interviewen muss. Sie sind unser Mann in Amerika und haben jetzt die Chance, die Moderation zu übernehmen.“ Er schaute mich groß an, überlegte einen Moment und sagte: „Darf ich mir noch eben die Hände waschen?“

Von links Danny Everett (Bronze über 400 m), Ben Wett, Steve Lewis, Gold über 400m, Linford Christie (Silber 100m); im Hintergrund der scheue Moderator

Minuten später setzten wir die Gäste auf neun Barhocker, und Ben legte los. Das Publikum – Olympioniken, JournalistInnen und Sportfans – war hin und weg. Im Rücken der Athleten wieselte ich mit meinem Mikrofon hin und her, um die Antworten einzufangen. Als sich meine Schnappatmung gelegt hatte, stellte ich sogar selbst Fragen.

In jenen Tagen hatte ich hatte das große Glück, mich mit Sportlegenden wie Bob Beamon oder Wladislaw Tretjak auch privat zu unterhalten. Tretjak, Russlands großer Eishockey-Torwart, war ein Held meiner Kindheit. Noch wichtiger als das gute  Honorar war für mich, dass ich mit dem Job meine große Scheu überwand, vor Publikum zu sprechen. Zu meinen Albträumen zählten immer Tod durch einen entlaufenen Tiger, nackt durch die Stadt laufen und Reden vor Publikum. Eine Statistik besagt, dass Sprechen vor vielen Menschen für viele die größte Angst darstellt. An zweiter Stelle folgt Sterben.  

Womit wir leider wieder beim Thema sind. Der wunderbare Ben Wett erkrankte an Parkinson und starb 2012 in einem New Yorker Hospiz. Uli Blankenhorn starb vor wenigen Tagen. Ruhe in Frieden, Uli. Der Nachruf auf der Seite des deutsche Sportjournalisten-Verbandes (VDS).

Fundstück der Woche

Das Facebook-Video einer Folge der genialen Harald Schmidt Late Night Show aus dem Jahr 2002: „Er hat Neger gesagt!“