Versuch einer Annäherung

Unser dreiwöchiger Thailand-Trip konnte uns ein wenig ablenken, doch spätestens seit der Rückkehr nach Chiang Mai hat uns der Alltag wieder eingeholt mit seiner belastenden Realität. Covid-19 will nicht weichen, Extremwetter werden häufiger, in Chiang Mai starten Hitze und Smog. Vor allem aber ist es der Krieg in der Ukraine, der auch in Thailand in die Gedanken und Gespräche kriecht.

Es ist in diesen Tagen nicht leicht, zuversichtlich zu bleiben. Schon gar nicht für die in Thailand gestrandeten ukrainischen und russischen Touristen. Die einen wollen nicht zurück in eine Heimat im Krieg, die anderen können Hotels und Essen nicht mehr bezahlen, weil der Rubel abgeschmiert ist und ihre Kreditkarten nicht mehr funktionieren.

Mein Thema heute: Pattaya, die dritte und letzte Station unseres Thailand-Trips nach Khanom und Koh Phangan.

Pool-Landschaft im Hotel Pullman G in Pattaya (Foto: Kesorn Chaisan)

Geschmack ist Bandbreite, und das gilt erst recht für die Stadt, die mal Sin City genannt wird und mal Seebad am Golf von Thailand. Pattaya ist der ideale Ort für selektive Wahrnehmung. Hier entscheidet jeder Besucher nach Neigung und Prioritäten für sich, was Realität ist, was angenehm, akzeptabel oder Schönfärberei.

Seit früheren Besuchen, meist Geburtstagseinladungen von Freunden folgend, habe ich eine fast körperliche Aversion gegen die Stadt. Kein Wunder, wenn die immer noch Natur belassene Insel Phangan mein Lieblingsplatz ist. Ein größerer Gegensatz ist kaum denkbar. Und doch reisten wir von dort nach Pattaya. Warum?

Zuvor mussten wir uns erst einmal damit anfreunden, dass Thailands Süden selbst um diese Jahreszeit kein Garant mehr ist für schönes Wetter. Eine Woche früher als geplant verließen wir Phangan, chancenlos gegen Regen und Sturm. Am Pier von Thongsala verkürzte ein Ständchen das Warten auf die Fähre nach Samui, doch das konnte meine Frau nicht aufheitern. Sie litt noch unter den Nachwirkungen eines Scooter-Unfalls auf einem der geröllig-sandigen Wege Phangans. Der Verursacher ist mir persönlich bekannt. Toey saß hinten, und ich saß vorne. Ich will es nicht wieder tun.

Mit unseren Freunden suchten wir eine Region mit besserem Wetter. Unter diesem Aspekt schien Pattaya das am bequemsten zu erreichende Ziel; per Direktflug von Samui zum Militärflughafen U-Tapao, der inzwischen auch zivil genutzt wird. Dass Bangkok Airways auf dem Samui Airport das Monopol hält, war dem Ticketpreis anzumerken: 4600 Baht one way pro Person (128 Euro).

U-Tapao International Airport (Foto: The Nation)

Pattayas Identität beruht wesentlich auf einer gelungenen Zielgruppenstrategie: Sexzess ist hier kein Privileg der Jugend, sondern ein Produkt für alle Altersklassen. Der sehr soziale Ansatz, niemanden auszugrenzen, hat die Stadt reich gemacht. Aber nicht schön. Wenn das Diktat des Profits auf Kosten der Optik geht, sieht es so aus wie im Zentrum Pattayas.

Meine Aversion war daher immer eine ästhetische. Da ist seit Mitte der Siebziger ein Fischerdorf mit wachsendem Gästestrom über sich hinausgewachsen, um an vielen Stellen auszusehen wie ein Patchwork mit Wucherungen. Offenbar gingen die Verantwortlichen immer davon aus, dass die treuen Stammgäste Ästhetik für vernachlässigenswert halten. Die Tonne muss nicht schön sein, damit der Wein schmeckt. Immerhin erfüllen einige Hotels, Restaurants und Cafès die Rolle optischer Oasen.

Bild: Die Walking Street von oben.

Und wo bleibt Raum für noch so rudimentären Charme in einer Bar-Szene von industrieller Dimension? Derzeit stehen hunderte Bars in den Seitengassen der Beach Road in Reih und Glied und komplett leer. Tote Hose. Eine ganze Branche liegt brach. Doch Einheimische sagen, dass das Geschäft schon vor der Pandemie Abwärtstendenzen zeigte. Nicht jeder drückte das so drastisch aus wie ein Leser des Magazins „Der Farang“:

„Viele Bierbars waren doch schon lange nur noch Freilichtmuseen mit leidlich lebendigen Mumien vor und hinter den Tresen.“

Was ich nach meinem jüngsten Besuch beurteilen kann: Pattayas touristische Wiederbelebung lässt auf sich warten, die Zukunft verharrt im Nebel. Werden die Boom-Boom-Zeiten zurückkehren mit ihrer Lizenz zum Exzess und dem Mix aus Vergnügen, Hoffnung und Überdruss? Oder sind die wilden Zeiten wirklich vorbei? Mutiert Sin City tatsächlich zur Familiendestination, wie es die Stadtväter gerne propagieren?

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Werden künftig Hotels wie der 5-Sterne-Riese Grand Centre Point Familien anlocken oder überdimensionierte Einkaufszentren wie das Terminal 21, wo man sich den Glamour von Paris oder London borgt? Aber es gibt ja noch das Teddy Bear Museum an der Beach Road, den Ramayana Wasserpark, 3D-Museum Art in Paradise, das erstaunliche Sanctuary of Truth und vieles mehr. Vielleicht wird Pattaya ja ein Themenpark wie Las Vegas.

Zimmer mit Meerblick

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Wie unsere Freunde Disco und Michael, so nächtigten auch wir im Hotel Mercure. Zimmer mit Meerblick hieß es. Das stimmte auch, wenn man den Balkon mit einrechnete. Das Zimmer als solches: tadellos, zum günstigen Preis. Beides galt nicht für das Frühstück (300 Baht). Der Service im Restaurant blieb trotz höflicher Reklamationen miserabel; an einem Morgen mussten wir die Servicekräfte in der labyrinthischen Küche aus ihren Verstecken aufscheuchen.

Wir verließen das Hotel kurz entschlossen einen Tag vor der geplanten Abreise; die gebuchte, aber nicht in Anspruch genommene Nacht wurde nicht in Rechnung gestellt. Unsere Reklamationen schienen nachvollziehbar.

Am Abend: Europäische und asiatische Spezialitäten im Restaurant Casa Pascal

Wir zogen ins Hotel Pullman G Hotel, direkt am Strand gelegen. Höheres Niveau, höherer Preis, aber auch hier Pandemie-Rabatt: 2500 Baht pro Nacht für ein höchst angenehmes Zimmer, Frühstück inklusive. Auf der Fahrt ins neue Quartier kicherte meine Frau vor sich hin und murmelte: „It`s the first time, that they kicked me out of a hotel.“ Nach unserem vorzeitigen Auszug glaubte sie, das Mercure hätte uns rausgeworfen.

Machen wir es kurz: Entspannte Tage im Strandhotel und der Besuch zweier schön gelegener Restaurants im Süden der Stadt veränderten meinen Blick auf Pattaya und seine Möglichkeiten. Nun verstehe ich selbst die Freunde, die aus Bangkok in die Nachbarschaft ziehen. An manchen, nicht unbedingt preiswerten Stellen wirken Landschaft und Immobilien fast mediterran.

Fazit: Das gastronomische Angebot Pattayas ist riesig, die Infrastruktur unstrittig perfekt. Mit den Füßen im Sand und dem Meer vor Augen kann ich ausblenden, was ich nicht mag an dieser Stadt.

Der Mensch ist bequem, und ich bin es auch. Es gibt Direktverbindungen mit Thai Lion Air zwischen U-Tapao und Chiang Mai. Für den Flug von U-Tapao zu unserem Wohnort zahlten wir 33 Euro pro Person, Gepäck inklusive. Unter solch angenehmen Umständen könnte es selbst für mich zur Option werden, mal für drei oder vier Tage dem Alltag zu entfliehen. In Pattaya.

Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern.

„Oh, wie schön ist Pattaya“ – Zitat Janosch, leicht verfremdet (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)