Designer-Cocktail: Versace plus Papagei auf LSD

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Der Vater der vietnamesischen Einheit gab der Stadt seinen Namen; Saigon heißt seither Ho-Chi-Minh-City. Zu gerne wüsste ich, was „Onkel Ho“, wie er in Vietnam genannt wird, zu diesem Hotel gesagt hätte, das seine Gäste im Rolls Royce Phantom Dragon durch die Stadt kutschiert. Und zu diesem Design, dieser Kreuzung aus Versace und einem Papagei auf LSD.

Foto: Quantas

The Reverie (zu Deutsch „Träumereien“) residiert in Saigons District 1, dem umtriebigsten Viertel der Stadt. Zwischen den beiden Hauptstraßen Dong Khoi und Nguyen Hue Boulevard, in einem Gebäude, das sich mit seinem Namen „Times Square“ dem einstigen Feind USA an die Brust wirft. Eine Glasfassade ziert die 39 Stockwerke, Projektionsfläche für ein integriertes Lichtspielsystem. „So hast du Vietnam noch nie gesehen“, heißt es auf der Homepage des Hotels. Das stimmt. Ich hätte nicht gedacht, dass der Kommunismus in der Villa Kunterbunt zu liegen kommt.

Galerie Times Square Saigon (Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Das Kapital ohne Karl Marx

Erstaunlich, was das Kapital so anrichten kann, wenn Karl Marx mal wegguckt. Genau genommen hat er sieben Jahre weggeschaut. Denn so lange wurde gebaut, bis der Zauberwald The Reverie auf Hoteldimensionen getrimmt war.

Welch schreiende Farben, welche Pracht und Extravaganz. Es gibt nur wenige Fixpunkte, die dem gereizten Auge Ruhe spenden: Das freundliche, hellwache Personal trägt klassisches Gewand.

Hotel The Reverie, Saigon (Photo Faszination Fernost/B. Linnhoff)
Die vergleichsweise dezente Eingangshalle im „Reverie“ (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Ich wandere umher in diesem eklektischen Mix; habe jedoch kein Quartier gebucht. Der freundliche Concierge gestattet mir für diesen Blog dennoch den Blick in einige Zimmer, die ihrerseits auf den Sài Gòn Fluss schauen.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Vielleicht wussten die Innenausstatter, dass ein allzu üppiger Farben-Cocktail die Nachtruhe gefährden kann. Daher haben sie ihre Fantasie in den Zimmern ein wenig gezügelt. Mit etwa 250 Euro pro Nacht bleibt das Hotel im Rahmen der Luxuskategorie. Es hat seine Liebhaber und Bewunderer und ist gut gebucht; für die Apartments und Suiten werden andere Preise aufgerufen.

Foto: Four Magazine

Ein solches Hotel, da waren wir uns sicher, kann nur dem kreativen Übermut eines italienischen Architekten oder Designers entsprungen sein. Wer also hat sich hier in sieben Jahren Bauzeit ausgetobt und dem Götzen Instagram geopfert? Der vermeintliche Italiener heißt Kent Lui, ist Vietnamese und genießt in seiner Gilde reichlich Respekt. Mit seinem  Team von Kent Lui Tactics schuf er so spektakuläre Bauwerke wie das International Finance Center und das HSBC-Gebäude – beide gaben der  Skyline von Hongkong eine neue Form.

Kent Lui verweist auf die Vorliebe der Vietnamesen für alles Bunte, Energiegeladene, ekstatisch Lebendige. Einflüsse von außen ergänzen inzwischen die festgeschriebene Geschichte des Landes.

Denn ganz so falsch lagen wir nicht. 23 italienische Unternehmen haben im Times Square Building Repräsentanzen angemietet. Innenausstatter und Designer wie Colombostile, VG New Trend, B&B Italia, Visionnaire, Giorgetti, Poltrona Frau, Cappellini u. a., deren Produkte im Hotel zu bestaunen sind.

Dort fallen einem die Objekte buchstäblich ins Auge. Aus welcher Epoche mögen sie stammen? Eine malachitgrüne Uhr zum Beispiel mit lateinischen Ziffern – Barockoko? Doch der Chronometer ist ein satellitengesteuertes Produkt der italienischen Edelschmiede Baldi Home Art.

(Der Malachit wird übrigens auch Hebammenstein genannt, weil ihm bei Geburten eine entkrampfende und beruhigende Wirkung bescheingt wird. Aber wir schweifen ab. Andererseits: Wenn nicht hier, wo dann?)

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Es dauert ein wenig, bis wir verstehen: Die Welt soll endlich anders schauen auf Vietnam, nicht mehr nur in den Rückspiegel. Krieg und Kolonialzeit sind vorbei. Und um ein zähes Image zu ändern, braucht es so exzentrische Sehenswürdigkeiten wie The Reverie. Die Botschaft ist eindeutig: Wir vergessen unsere Geschichte nicht. Aber wir leben in der Gegenwart und für die Zukunft.

Mit dieser Deutung wäre wohl auch Onkel Ho einverstanden; so kann er weiter in Frieden ruhen.

Eingang The Reverie, Saigon (Foto: Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Fotos: Faszination Fernost/B. Linnhoff, Four Magazine (1), Quantas (1), The Reverie (1)