Alles wird anders

Eltern schreien ihre Kinder an, Frauen ihre Männer. Ein junger Mann in Bulgarien trinkt seit Tagen seine Cola mit dem Strohhalm durch die Nase. In Wales beißt ein Fitnesstrainer seinen Hund, weil der nur neun Sit-ups geschafft hat und nicht die geforderten zehn. Hazel He in China hat seit Kurzem Angst vor Menschenansammlungen und verlässt ihre Wohngegend nicht mehr. Landsfrau Rosanna Yu in Wuhan freut sich über jede Kirschblüte und über die vielen Autos im Straßenverkehr – die erinnern sie an die Zeit vor Corona. Und in Bangkok trägt der Thai im zeitgenössischen Geschenkekorb Bepanthen und Desinfektionsmittel nach Hause.

Foto: dpa

Vor einigen Tagen flog ich von Chiang Mai nach Bangkok, in die neue Normalität der thailändischen Hauptstadt.

Nur die Billigen fliegen

Ich hatte einen One-Way-Flug bei Nok Air gebucht, neben Thai AirAsia und Thai Lion Air eine der drei Billigfluglinien, die national wieder abheben. Thai Airways, einst der Stolz eines ganzen Landes und zuletzt chronisch defizitär, geht gerade in die Insolvenz, um irgendwann wieder durchstarten zu können.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Am Flughafen in Chiang Mai waren einige Cafés geöffnet, der Zeitungsladen nahe den Gates ebenfalls. Zwei Stunden vor dem Start sollte ich da sein, dann prüften die Mitarbeiter der mobilen Medizinstation die Temperatur und stellten ein paar Fragen. Wohin fliegen Sie und wann zurück? Wie alt sind Sie?, und das war`s dann schon. Beim Boarding hielten alle Passagiere den empfohlenen Abstand ein (ca. 1,50 Meter) ein; niemand mokierte sich über die drei Chinesinnen in Ganzkörperkondomen.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

„Thailand gewinnt“: Die App der Regierung

Covid-19-App mit QR-Code zum Ein- und Auschecken (Foto: Thailand Tip)

In Bangkok kam ich gerade recht zum Sturm auf die endlich wieder offenen Einkaufszentren, von denen es im Großraum Bangkok mehr als 500 geben soll. Nach wenigen Stunden musste das IKEA-Kaufhaus wegen des starken Andrangs vorübergehend schließen.

An allen Eingängen rückten sich die Kaufwütigen auf die Pelle, hier blieb Social Distancing ein schöner Traum. Thailands Regierung hat fast über Nacht eine Covid-19 App namens „Thai Chana“ (Thailand gewinnt“) zur Kontaktverfolgung von Kunden in kommerziellen Shops gestartet, sodass sich nun jeder Besucher am Eingang mit seinem Handy über einen QR-Code anmelden kann. Die Privatsphäre sei nicht gefährdet, beteuert die Regierung, die Daten würden vertraulich behandelt. Zeitgleich wurde allerdings ein Gesetzentwurf zum Schutz der Privatsphäre ins nächste Jahr verschoben.

Wer die App nicht herunterladen will oder kann, darf sich mit Telefonnummer und Unterschrift beim Betreten eines Shops in eine Liste eintragen.

Der Blick auf Deutschland

In meiner alten Heimat fielen die Restriktionen zu allen Zeiten weniger heftig aus als in Thailand. Die Fotos und Videos, die nun den deutschen Alltag im Netz und in den Medien zeigen, unterscheiden sich für mich nur unwesentlich von den Bildern vor Corona. In Thailand werden wir mit einer völlig anderen Realität konfrontiert. So wird mir Deutschland mehr und mehr fremd wird – erst recht, wenn dort Menschen die Einschränkungen als Ausdruck einer Diktatur brandmarken.

Fotocollage: Gerhard Veer

Naturkatastrophen, Militärcoups und wirtschaftliche Einbrüche haben die Thais schon immer darauf eingestimmt, dass es in ihrem Leben keine absolute Sicherheit gibt. Im Schweizer Onlinemagazin „Republik“ beschreibt Tobias Brandner, seit 15 Jahren Gefängnispfarrer in Asien, am Beispiel der Masken-Akzeptanz den Unterschied zwischen westlicher und asiatischer Mentalität:

„Während in Europa viele denken: `Es ist doch egal, wenn ich mich anstecke; werde schon nicht daran zugrunde gehen; bin doch kein Weichei`, so denken die Leute hier: `Ich möchte auf keinen Fall zum Grund werden, dass sich andere anstecken.` Das wäre nicht nur peinlich – der viel beschworene und durchaus reale Gesichts­verlust –, sondern würde auch der Gemeinschaft schaden, als deren Teil man sich hier selbst­verständlich sieht.“

Die Geisterspiele der Bundesliga

Mit dem Geister-Derby zwischen Dortund und Schalke begann eine historische Phase der Bundesliga. Zu den Risiken und Nebenwirkungen gehört, dass die Begegnungen nun zu Hörspielen mutieren. Erstes Opfer war der 20-jährige Schalker Jean-Clair Todibo. „Fick deine Oma“, rief er dem noch ein Jahr jüngeren Erling Haaland auf französisch zu, was für eine gewisse Weltläufigkeit in der Liga spricht. Haaland schien nicht weiter über die Offerte nachzudenken, sondern ordnete sie vielmehr – im Gegensatz zu einigen hyperventilierenden Medien – als den gewöhnlichen Trash Talk ein, der bisher in der Geräuschkulisse unterging.

Verbale Fouls sind keine Erfindung der Moderne. Kürzlich berichtete ein britisches Boulevardblatt über den Innenverteidiger Richard Dunne, der vor Jahren einen afrikanischen Gegenspieler in der Premier League konsequent mit „du verdammter Schimpanse“ traktierte – was der Schiedsrichter skandalöserweise ignorierte. In den Sechzigerjahren kamen die freundlichen Bemerkungen gar von der Trainerbank. Als Chelseas Verteidiger Ron Harris, genannt The Chopper („Das Hackebeil“), machtlos war gegen die Tricks und Finten eines gewissen George Best, rief Chelseas Trainerasstent seinem Verteidiger zu: „Nun brich ihm endlich die Beine!“

Wer ist denn nun der moralisch wertvolle Fan?

An den Geisterspielen der Bundesliga scheiden sich, nun ja, die Geister. Diskussionen, gedacht als Austausch unterschiedlicher Meinungen, werden zum Kampf um die moralische Lufthoheit. Auf der Online-Plattform von „11Freunde“ finden sich Sätze wie „Wer sich Spiele ohne Zuschauer im Fernsehen anschaut, ist kein Fußballfan.“ So wird jedes Argument Ideologie. Wie berechenbar, wie ermüdend, wie langweilig auch.

Zum Abschluss: Den Irrtum der Woche…

…erlebte eine Thailänderin, die auf Twitter unter „Siravariety“ firmiert. Auf einer Online-Einkaufsplattform entdeckte sie einen Stuhl, der ihr gefiel und den sie sogleich bestellte. Bei Lieferung allerdings war die Enttäuschung groß. Ganz im Gegensatz zum Stuhl.