This is Thailand: Zahlen, Schwören, Antanzen

Was für ein Start! (Foto: Faszination Fernost/Klaus Hoeltzenbein)

„Wo willst du mit meiner Hose hin?“, fragte ich so ruhig wie möglich. Gerade stand die Frau noch direkt neben mir, plötzlich ging sie auf Distanz. Wie sollte ich auch wissen, dass man aus dem Stoff eines Lanna-Beinkleides bequem vier zeitgenössische Hosen schneidern könnte?

Zu diesem Zeitpunkt, es war so gegen acht Uhr morgens, hatte ich bereits in den Fatalismus-Modus geschaltet. Sollte der ganze Tag so werden wie seine ersten Stunden – mir doch egal!

Bereits in der Nacht vor der Hochzeit hatten Toey und ich ein Zimmer bezogen im original Lanna-Teak-Haus auf dem Monfai-Gelände. Einen Raum mit wenig Auslauf; eine Flucht der Braut in letzter Sekunde war somit ausgeschlossen. Die Klimaanlage, justiert bei erfrischenden 18 Grad, beeindruckte mit ihrem Geräuschpegel.

Unser Kopf-Kino spulte den möglichen Ablauf des nächsten Tages vor und zurück, ehe wir endlich einschliefen.

Ein Blick zurück

Die wesentlichen Fragen hatten wir uns schon lange zuvor gestellt und vor allem beantwortet – eine Übung, die man in jungen Jahren, im Taumel der Verliebtheit und im Tumult der Hormone, meist unterlässt.

Beide hatten wir, Toey und ich, unter unserem Singledasein keineswegs gelitten. Beide waren wir gerne allein. Also fragten wir uns: Was erwartest du von einer Beziehung? Und was von mir? Was bedeutet es, wenn wir uns in einer Sprache unterhalten müssen, die nicht unsere Muttersprache ist? Wenn schon jede Verbindung zwischen Mann und Frau eine interkulturelle ist – wie bewältigen wir dann die Zugabe, den Zusammenprall zweier Mentalitäten, die deutlich weiter voneinander entfernt sind als die 9000 km zwischen Deutschland und Thailand?

Nur ein Beispiel: Wenn sich zwei Westler ineinander verlieben, erzählen sie sich ihr Leben bis dahin. Sie wollen einander erkennen und verstehen. Spot an, Thailand: „Warum fragst du mich nie nach früher?“, wollte ich von Toey wissen. „Du kannst mir gerne erzählen, was du erzählen willst“, meinte Toey, „aber für mich ist das alles Vergangenheit und zählt nicht mehr.“ O glückliches Thailand, du. Wir hingegen fragen uns, ob das nach Weisheit klingt oder Desinteresse.

Was uns verbindet: Beide wurden wir früh und intensiv mit dem Tod konfrontiert; beide haben wir gelernt, jeden Tag zu schätzen. Die Antworten, die wir uns auf unsere Fragen gaben, ließen sich letztlich auf diesen Satz reduzieren: Wir wollten das Leben des anderen bereichern und nicht ärmer machen.

Röchelnd in den großen Tag

Geweckt wurde ich gegen vier Uhr morgens von den inzwischen eiskalten 18 Grad, immer noch präzise geblasen von der voll funktionsfähigen Klimaanlage. Leider ließ sie sich weder ab- noch wärmer stellen, was meine Luftröhre in eine gewisse Wallung versetzte. Gegen sechs Uhr war ich mir sicher, dass ich der Braut beim Ja-Wort etwas husten würde.

Um 6.45 musste Toey beim Stylisten antreten, draußen vor unserem Zimmer. Die Prozedur endet in Thailand meist erst dann, wenn auch das letzte Fleckchen natürlicher Schönheit tapeziert ist und die Frisur an russische Panzer erinnert. Irgendwann wurde auch ich geschminkt, ein Hauch von Lipgloss inklusive. „Warum hast du mir nur fünf Minuten gegönnt?“, fragte ich. „Länger hätte nichts gebracht“, antwortete der Make-up-Künstler. Ein Experte offensichtlich. So viele Gesichter hat er kommen und gehen sehen, vor allem gehen. Wer zählt die Falten, nennt die Narben?

Die Braut mittendrin (Foto: Faszination Fernost/Klaus Hoeltzenbein)

Ab 7.45 Uhr tröpfelten die Freunde ein; sie mussten noch auf die gemietete, traditionelle Lanna-Kleidung umsteigen. Ich ging fest davon aus, dass das Brautpaar im eigenen Zimmer eingekleidet würde. Ich habe mich in Thailand schon so oft geirrt, dass es auf dieses eine Mal auch nicht mehr ankam.

So musste die Braut fünfzig Meter durchs freie Gelände laufen, nur mit einem Handtuch bekleidet und – dank Turmfrisur – mit erhöhtem CW-Wert. Im einzigen Umkleideraum sah es inzwischen so aus, als bereiteten sich die Kölner Funkenmariechen auf eine Mottoparty vor. Das reine Chaos triumphierte, eingefangen dankenswerterweise in den Bildern von Klaus Hoeltzenbein (im Foto unten rechts, auch sehr schick!).

Unsere Freundes-Fraktion aus Bangkok, Deutschland und Südkorea hatte sich für die blaue Thai Farmers` Version entschieden, die traditionelle Kluft der thailändischen Bauern. Und alle sahen so aus, als trügen sie den siamesischen Landmann in ihrer DNA.

Der zeremonielle Teil stand nun unmittelbar bevor. Als ich mich so umschaute, war meine Braut verschwunden. Doch angesichts all der erwartungsfrohen, anmutig verkleideten Gäste hielt ich einen außergewöhnlich schönen Tag wieder für möglich.

Sechser mit Steuermann (Foto: Faszination Fernost/Klaus Hoeltzenbein)

Zeig her deine Mitgift

Zu Hochzeiten in Thailand gehört, dass der Mann der versammelten Gemeinde mit der Höhe der Mitgift (auf Thai: sin sod) seine wirtschaftliche Potenz beweist. Bestimmt ist die Mitgift für die Brauteltern, als eine Art Ablösesumme für die finanzielle und emotionale Energie, die sie in die Aufzucht der Tochter gesteckt haben. Dieses Ritual hat sich bis heute gehalten – in Thailand und anderen Ländern Asiens ist Heiraten immer auch ein Bund fürs Geben.

Inzwischen aber fließt das Geld später oft über die Braut ans Ehepaar zurück oder dient dazu, die Hochzeitsfeier zu bezahlen. Zunächst aber muss die Kohle gezeigt werden!

Also trugen Freunde an diesem Morgen unsere Ringe sowie eine ansehnliche Anzahl Tausend-Baht-Noten bei Windstille durch den Laden, auf Präsentiertellern, aus Bananenblättern geschnitzt.

Angetreten (Foto: Studio Poplove/Chiang Mai)

Let the games begin

Der Vorsänger klang – für europäische Ohren – ein wenig nach liebeskrankem Pfau und rief etwas wie „Hiaouuuuuu“, worauf wir in ähnlicher Tonlage einstimmten. Dank an dieser Stelle noch einmal an Familie und Freunde für die akustische Unterstützung.

Fortan war ich auf mich allein gestellt. Keine Braut, nirgends.

Um zu meiner Zukünftigen zu gelangen, musste ich zunächst drei menschliche Schranken passieren, Toeys FreundInnen. Diese Art Sperren überwand man im Lanna-Reich so ähnlich wie heute: per Mautgebühr. Überreicht in Briefumschlägen, wie bei solch halbseidenen Vorgängen immer schon üblich; die Höhe der Spende so bemessen, dass sich die Tore auch wirklich öffneten.

An der dritten Schranke wurde der Schwierigkeitsgrad deutlich erhöht. Nun musste ich meine Liebe zu Toey bekunden, und zwar so, dass es jeder hören konnte und in Zukunft bei Zuwiderhandlung als Zeuge gegen mich antreten kann.

So rief ich denn, und es fiel mir enorm schwer, es ist doch eine eher intime Äußerung: I love you!

Falsche Sprache.

Neuer Versuch, auf Thai: Pom rak khun!!!

Zu leise.

Dritter Versuch, gebrüllt. Die Braut war amüsiert, und das Fußvolk erst recht.

Als ich schon glaubte, den rituellen Hindernislauf hinter mir zu haben, teilten mir die Schrankenwärterinnen Toy und Myna gutgelaunt mit, dass ich den kargen Rest des Weges tänzelnd zurückzulegen hätte, begleitet von Thai-Klängen.

Der Bräutigam ist verstimmt (Foto: Studio Poplove/Chiang Mai)

Als erklärter Gegner des Antanzens teilte ich den Damen höflich, aber bestimmt mein Veto mit. Was einige Irritation auslöste. Aber hey: This is Thailand! Alles löste sich in Lachen auf, und ich gesellte mich gemessenen Schrittes zur wartenden Toey.

Wie ich später von ihr erfuhr, gehört das „Antanzen“ zu jeder thailändischen Hochzeitszeremonie. Die Bewegungen sollten möglichst intensiv ausfallen, da der Bräutigam den Gästen damit seine Vitalität vermittelt. Bei eher kraftlosem Tänzeln kann es durchaus sein, dass die Zuschauer dem Mann einen Krückstock zuwerfen – thailändischer Humor tendiert gelegentlich zum Rustikalen.

Manche Bräutigame beweisen ihre Fitness auch dadurch, dass sie fünf Minuten lang auf einem Bein stehen. (Das erinnerte mich an eine Geschichte, die der Essener Kabarettist Ludger Stratmann mal erzählte. Einem seiner Freunde musste ein Bein amputiert werden; dennoch stand der Mann noch Jahrzehnte unverdrossen am Tresen seiner Stammkneipe. Seine Kumpels nannten ihn Flamingo).

Die Mannschaftsaufstellung nach Lanna-Art

Zur Linken neben der Braut sitzt ihre (ältere) Verwandschaft, zur Rechten des Bräutigams sitzt die seine. Da Toeys Mutter bereits früh gestorben ist und ihr Vater wegen einer schweren Erkrankung leider absagen musste, blieb von ihrer Familie nur die Schwester ihres Vaters. Hinzu kam Tukki, eine enge Freundin.

In meiner Familie war außer meiner Mutter (96, fidel, aber nicht reisefähig) kein älteres Mitglied als ich aufzutreiben. Da mein Bruder Walter verhindert war, repräsentierte ausschließlich mein Bruder Wolfgang unseren Clan; mein Neffe Moritz (20) war zwar anwesend, fiel für die Rolle auf den vorderen Plätzen aber aus wegen zu jung. So durfte auch ich das Kontingent meiner Zeugen durch Freunde auffüllen: Uwe „Disco“ Wojatzek ist seit unserer gemeinsamen Zeit in Bangkok ein enger Freund; Hartwig Schüler, Präsident der German All Stars Bangkok, hat mir die Auswanderung nach Thailand und das Leben hier von Beginn an mit Rat und Tat erleichtert.

Fotos: Studio Poplove, Klaus Hoeltzenbein

Heiraten in Thailand – ein Bund fürs Geben (1)
Heiraten in Thailand – ein Bund fürs Geben (3)
Heiraten in Thailand, Teil 4: This is Thailand – magisch bei Nacht
Gruppenbild mit Gästen