Heilt Goldasche Krebs und Aids?

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Wir schlängeln uns durch den Verkehr Yangons und nähern uns den Außenbezirken. „Habe ich gerade Schamane verstanden?“, fragt mein Bruder. „Ich habe Schamane gesagt“, gebe ich zurück. „Ein Schamane“, wiederholt Walter. „Wegen deiner Beine“, erwidere ich. „Ach ja?“, murmelt mein Bruder, „ein Schamane also.“ Dann schaut er ein wenig abwesend aus dem Seitenfenster unseres Taxis.

Auch wenn er zuvor weder beruflich (als Gerichtsvollzieher) noch privat je in einen Wunderheiler gelaufen ist: Natürlich weiß Walter, was ein Schamane ist. Doch es scheint einen Unterschied zu machen zwischen theoretischem Wissen und dem Fakt, einen konkreten Termin bei einem Schamanen zu haben. Zur Behandlung. Und erst davon zu erfahren, wenn der Ort der Exekution nur noch wenige Kilometer entfernt liegt.

„Schamanen und auch Wahrsager genießen in Asien großen Respekt, beim Bauern wie beim ranghöchsten Politiker“, erkläre ich meinem Bruder. „Du mich auch“, sagt er.

Die wundersame Wandlung des Soe Thu Ra

Zwei Tage Yangon, zwei Tage Tempel in Bagan haben wir für Myanmar geplant, ein kompaktes Programm. Yangon kann für Erstbesucher eine echte Herausforderung sein, atmosphärisch tendiert Burmas frühere Hauptstadt eindeutig gen Indien – wer Indien kennt weiß, was das heißt.

Dies ist unser zweiter Tag im ehemaligen Rangun; in den ersten 24 Stunden hat mein Bruder den birmanischen Alltag und einiges mehr verkraften müssen. Am Flughafen Mingaladon standen wir nach der Ankunft eine Stunde lang herum wie bestellt und nicht abgeholt; genauso war es auch. Taxifahrer Soe Thu Ra, mit dem ich mich bei einem früheren Besuch angefreundet zu haben glaubte, ließ sich trotz fixer Verabredung nicht blicken.

Soe Thu Ra mit Familie (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Das war insofern irritierend, als Soe (im Nebenjob für ein mir bekanntes Reisebüro aktiv) unsere Flüge und Hotels buchen sollte und mir per Mail versichert hatte, er werde mir die Tickets und Bestätigungen zum Flughafen bringen. Dafür hatte ich zwei Monate zuvor 800 US-Dollar auf das Konto der Reisebürochefin überwiesen. Zumindest glaubte ich, es wäre das Konto der Reisebürochefin. Es sollte eine Vorsichtsmaßnahme sein – angesichts des immer noch knappen Angebots von Flügen und Hotelzimmern in Myanmar waren kurzfristige Buchungen zur Hochsaison riskant.

Und nun: Keine Spur von Soe. Mit Hilfe des Tourismusbüros am Flughafen und eines freundlichen Herrn von der Taxi-Innung erwischten wir Soe per Handy. Eine halbe Stunde später erschien er schließlich, mit einem Grinsen so schief wie zerknirscht, im Schlepptau einen Freund.

Fotos Faszination Fernost/Bernd+Walter Linnhoff

Wie sich herausstellt, hat sich der 34-jährige Soe inzwischen von seinem Taxi getrennt und wahrscheinlich auch von seinem Führerschein. Denn der Freund chauffiert. Nun haben wir zwei kostenpflichtige Reiseführer an der Backe, die zunächst einmal ein opulentes Mittagessen empfehlen. Soe, bei meinem letzten Besuch eher redselig, sitzt mir zur Linken, ist auffallend still und trinkt erstaunlich viel Bier. Auch der Fahrer sagt wenig, während sich Walter offensiv bemüht, mit Burmas Küche Freundschaft zu schließen.

In unseren Mägen grummelt es ein wenig, obwohl das Essen ausgezeichnet schmeckt. Aber irgendetwas ist faul. Entspannung fällt schwer. Wir fahren zum „Beauty Land“-Hotel (Foto links), im festen Glauben, es sei bereits bezahlt. In den nächsten Stunden wird sich Soe alkoholisch die Kante geben und mit dem Freund streiten.

(Wie sich gegen Ende unseres zweiten Tages herausstellen wird, hat Soe weder Hotels noch Flüge gebucht oder bezahlt, sondern meine Vorauszahlung privat verbraten. Der Versuchung von 800 Dollar – ein Vermögen in Burma – konnte er wohl nicht widerstehen. Doch das ist eine andere Geschichte).

In dieser eher unruhigen Gemengelage komme ich nun mit einem Schamanen um die Kurve.

Die mysteriöse Goldasche

Im Reisemagazin „Destinasian“ stolperte ich Wochen vorher über ein Porträt von Sayagyi U Shein (87). Der Schamane behauptete, mit einer geheimnisvollen Medizin namens Goldasche alle Krankheiten heilen zu können, Aids und Krebs inklusive. „Klingt nach einem geborenen Scharlatan“, folgerte der Autor der Story. Um dann jedoch die Erfolgsberichte und Lorbeerkränze anzufügen, die U Shein weit über die Grenzen Myanmars hinaus gewidmet und geflochten wurden. Auch in Europa.

Nur erlebte Erfahrung zählt. Neben dem Magazin-Porträt stand die Telefonnummer des Heilers: +95 1570 300. Ich bat Soe Thu Ra, für den nächsten Tag einen Termin zu vereinbaren. „Morgen früh um zehn Uhr“, erklärte Soe nach dem Telefonat. So einfach kriege ich nicht mal einen Termin bei meiner Friseurin.

Meinen Bruder würde ich später informieren, dann blieb weniger Zeit zur Gegenwehr.

Doch mein Vorgehen entsprang lauterer Gesinnung. Walter litt unter nicht diagnostizierbaren Muskelbeschwerden in den Beinen. Sie wurden schon auf medizinischen Kongressen diskutiert, ohne Befund, ohne Lösung. Da kann man es doch auch mal mit einem Schamanen versuchen, dachte ich mir.

Fotos Faszination Fernost/B. Linnhoff

Nun ist es so weit. Wir sind nurmehr wenige Meter vom Ziel entfernt: Myawutyi Street, Sa/ka Ward, Thinggangyun Township.

Kaum noch Verkehr, die meisten Häuser aus Holz. Walter hat sich im Ringen zwischen Protest und Fatalismus für letzteren entschieden.

Dann sehen wir das Schild; es wird ernst.

Angekommen (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Ein reicher Mann

Sayagyi U Shein gilt als reicher Mann. 14 Autos und drei Häuser soll er besitzen. Doch er wirkt in recht bescheidenem Ambiente. Spirituell, buddhistisch, animistisch, das ganze Programm.

Das ganze Programm (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

An den Wänden hängen Fotos des Meisters mit buddhistischen, militärischen, akademischen Würdenträgern. Die Mitarbeiter wuseln geschäftig umher. Und das ist es ja auch, sein Metier, ganz nebenbei: ein Geschäft.

Dabei verlangt U Shein für die Behandlung nicht einmal Honorar. Jeder Kunde gibt, was er will oder kann. Vor dem zweistöckigen Haus steht eine Schiefertafel, auf der mit Kreide die Spenden des Tages festgehalten werden. Eine beeindruckende Liste, schließlich ist es noch früh am Morgen.

Der alte Herr ist ganz schön fit

Sayagyi U Shein (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Jedes Bein ein knorriger, kraftstrotzender Ast. Der Blick klar, hellwach, durchdringend. Er nimmt, so heißt es, selbst 20 Kügelchen mit Goldasche am Tag. Zehn Stunden, so erzählt uns U Shein, sitze er jeden Tag auf dem Boden und versuche zu heilen: „Ohne müde zu werden.“ Nur die Reisen erspare er sich nun.

„Schon bei seiner Geburt war erkennbar, dass es sich um ein außergewöhnliches Kind handelt, denn sein Gesicht war bedeckt mit einer dünnen weißen Membrane. Dies ist … ein deutliches Zeichen dafür, dass ein besonderer Mensch, ein zukünftiger Heiler und Schamane, geboren wurde. 20 Jahre diente er in Burmas Armee, wurde mehrfach verwundet, konnte schließlich seine Finger nicht mehr bewegen. Doch dann hatte er einen Traum, in dem ihm seine Schwester aus einem früheren Leben erschien…“

So steht es in seiner Biografie.

U Shein fragt, woher wir kommen. „Ah, Deutschland! Dort war ich schon einige Male. Auch da gibt es Menschen, denen ich helfen konnte. So wie in Österreich. Es ist noch gar nicht lange her, dass meine Medizin dort eine Frau vom Krebs geheilt hat.“ Stolz verweist er auf seine goldene Armbanduhr: „Das war der Dank.“

Wir sitzen dem Schamanen gegenüber und versuchen, geschmeidig zu bleiben.

Im nächsten Moment wirft uns der Heiler eine Mappe nach der anderen vor die Füße. Referenzen aus aller Welt! Dankschreiben! Zeugnisse! Rezepte!

Seltsam. Fühlt er unsere Zweifel?

Eine der Mappen enthält ausschießlich Namen. Darunter einer, den ich kenne: Clemens Kuby. Für sein Projekt „Unterwegs in die nächste Dimension“ reiste der Dokumentarfilmer um die Welt, besuchte Alchimisten, Geistheiler, Schamanen und porträtierte sie. Auch Sayagyi U Shein. Das Buch habe ich vor einigen Jahren mit großem Interesse gelesen, die DVD liegt bei mir im Regal. Kubys Dokus liefen schon im deutschen Fernsehen.

Mein Bruder liegt quer in der Luft

Showtime! Der Übersetzer leitet U Sheins Frage auf Englisch an uns weiter. „Warum seid ihr hier?“, will der Gastgeber wissen. Ich deute auf meinen Bruder und sage: „Muskelprobleme in den Beinen.“ Der Schamane weist ihn an, das T-Shirt auszuziehen. Walter und ich schauen uns an. „Für die Beine?“ fragt Walter. Aber schulmedizinische Ansätze haben ja bis dato versagt.

U Sheins schamanischer Ansatz ist ein kleiner Stift in der rechten Hand, eine Art Lippenstift. Allerdings aus Metall, auch die sehr spitze Spitze. Die bohrt er meinem Bruder ansatzlos in die linke Brustwarze. Im selben Moment liegt Walter quer in der Luft, reines Entsetzen in den Augen. Neue Eindrücke sind eben doch stärker als Vertrautes. Schock und gute Erziehung verhindern, dass mein Bruder dem Schamanen einen linken Haken verpasst. (allein den Gedanken wird er später weit von sich weisen – er sei Rechtshänder).

U Shein lässt los, mein Bruder kehrt zur Erde zurück. „Die Herz-Seite ist in Ordnung“, verkündet der Heiler ohne erkennbare Regung. „Muss ich jetzt feiern?“, flüstert Walter, das Gesicht zu einem Grinsen verzerrt. Doch da saust der Stift auch schon in die rechte Brustwarze. Und wieder straft das Opfer die Schwerkraft Lügen. Der Hausherr schüttelt nachdenklich den Kopf, die rechte Körperseite gefällt ihm nicht so. Mein Bruder pumpt. Und ich habe ein schlechtes Gewissen.

Ende der Behandlung. So plötzlich, wie sie begonnen hat. Walter ist erleichtert. U Shein empfiehlt ihm überraschenderweise Goldasche und ein spezielles Heilöl. Wir kaufen Wundermittel ein für hundert Dollar, für mich gleich mit. Denn trotz allem wollen wir wissen, was Goldasche so kann. Der stabile Tresor rechts unter dem Fenster wird unsere Dollarnoten schon verkraften.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Zum Abschied Kaffee und Kuchen

Beim abschließenden Gruppenfoto mit Schamane sperrt sich mein Bruder erfolgreich gegen ein versöhnliches Lächeln. Auch Kaffee, Kuchen und frisches Obst stimmen ihn nicht heiterer.

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Derweil behandelt U Shein bereits den nächsten Gast, einen etwas schwermütigen Mann mittleren Alters. Seine Partnerin schildert schüchtern seine Beschwerden, der ein wenig dem mittelalten Muhammad Ali ähnelt.

Wir verabschieden uns, die Medikamente im Gepäck. Walter atmet wieder normal. Er will nun „zu diesem Markt in der Stadt, wo es alles gibt. Wie heißt der noch?“ „Bogyoke-Market“, antworte ich, „warum?“ „Neue Nippel kaufen.“

Vier Wochen lang haben wir die Medizin des Schamanen nicht angerührt. Dann siegte die Neugier. Fünf Tage lang staunten wir über eine angeregte Verdauung, dann beendeten wir das Experiment. Wir zweifeln nicht an den Fähigkeiten des Heilers. Für meinen Bruder aber war er nicht der Richtige.

Unser Besuch liegt schon ein wenig zurück. Der burmesische Weise starb zwei Jahre später im Alter von 89 Jahren.

Seine Enkelin führt nun die Arbeit ihres Großvaters fort.