Das „UFO“ über der Stadt (Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff)

Buddhas weisen den Weg

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

In ganz Myanmar prägen Mönche, aber auch Nonnen das Straßenbild wesentlich stärker als zum Beispiel in Thailand. Denn im ehemaligen Burma ist der Buddhismus noch nicht zum Ritual verkommen, sondern immer noch Leitmedium fürs Leben. Vielleicht auch deshalb, weil Glaube und Religion in Diktaturen den Menschen oft letzte Zuflucht bieten.

Fotos Juliane Kowollik (2), Faszination Fernost/B. Linnhoff (1)

Foto: B. Linnhoff/Faszination Fernost

Shwedagon bedeutet für die Buddhisten in aller Welt fast so viel wie Mekka für Muslime. Die Pagode ist das Wahrzeichen der ehemaligen Hauptstadt und des Landes Myanmar. Knapp 90 Prozent der Burmesen folgen Buddhas Lehre, obwohl sie, anders als in Thailand oder Kambodscha, nicht Staatsreligion ist.

Jede Religion oder Lebensphilosophie – als solche verstehen wir Westler den Buddhismus eher – kann im Alltag nur so gut sein wie von ihren Anhängern gelebt. In Yangon praktizieren Spiritualität und Business bereits friedliche, profitable Koexistenz. Auf den letzten hundert Straßenmetern vor dem Aufstieg zur Shwedagon-Pagode werden sie mehr, die Buddha-Figuren, die Garküchen, die Stände mit Devotionalien.

Schon läuft ein fröhliches kleines Mädchen neben mir her, in der Hand eine Plastiktüte. Keine Ahnung, was sie von mir will; meine abwehrenden Gesten ignoriert sie lächelnd.

Dann stehen wir am Fuße des Aufgangs. Ab sofort geht es nur noch barfuß weiter. Wohin mit meinen Schuhen? Jetzt bräuchte ich – eine Plastiktüte. Nur ein Dollar, Sonderangebot, gekauft. (Drei Stunden später, nach meiner Rückkehr, sehe ich das Mädchen, als ich mir gerade die Schuhe wieder anziehe. Ich gebe ihr die Plastiktüte zurück. Lautes Lachen, High Five, tolle Geschäftsidee – und auch noch nachhaltig).

Der Weg zur Hölle ist, so heißt es, mit guten Vorsätzen gepflastert. Der Aufstieg zur Shwedagon-Pagode gerät zum merkantilen Fegefeuer. Auf den vier steilen Treppen, nach den Himmelsrichtungen angelegt, sieht sich der gemeine Pilger mit einem Angebot konfrontiert, als hätten alle Teilnehmer der Fußball Champions League (Gruppenphase) ihre Fanartikel dort platziert. Die Produkte haben zwar wenig mit Fußball gemein, doch auch ihre Verbindung zum Buddhismus erschließt sich nur mit Mühe.

Hier zwei Holz-Esel, dort zwei Zebras, ebenfalls aus Holz geschnitzt: Nähern wir uns der Arche Buddha? Ein ferngesteuerter Radfahrer im Phantasietrikot, nimmermüd im Kreis fahrend: Modernes Gleichnis für das Darmachakra (Rad der Lehre)? Symbol für das Leben als Hamsterrad? Angesichts des verführerischen Angebots verdrängen auch Nonnen und Mönche das edle Gebot der Bedürfnislosigkeit. Zumal sie auch religiös korrekte Ware vorfinden: Bücher, Glücksbringer, Buddha-Statuen und -Bilder, Kerzen, Blumen, Räucherstäbchen, Blattgold und andere Opfergaben, Gebetsfahnen.

Ein paar Stufen noch, dann ist es geschafft. Wir haben die Plattform (60 000 qm Marmorplatten) erreicht. Vor mir glitzert, nur wenige Meter entfernt: Die Pagode.

Im Gebirge der Pracht

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Hier ist tatsächlich alles Gold, was glänzt. Und welche Pagode hat schon eine eigene Homepage?

Besser als Jacob Strobel y Serra in der FAZ kann man die Shwedagon und das tägliche Gewusel zu ihren Füßen nicht schildern:

„Vor 2600 Jahren, drei Wochen nach der Erleuchtung des Erleuchteten, wurde der Grundstein gelegt. Zwei Brüder kehrten damals mit acht Haaren Buddhas aus Indien zurück und schenkten sie ihrem König, der sofort einen Tempel errichten ließ. Zweieinhalbtausend Jahre später ist daraus ein ganzer Tempelberg geworden, ein Gebirge der Pracht und Herrlichkeit aus Dutzenden von Pagoden und Pavillons, Skulpturenspalieren und Monumentalglocken, Opfersteinen und Devotionalienständen rund um eine goldglänzende Haupt-Stupa, die wie Gottes Zepter für alle Ewigkeit in einem Hügel steckt.

Es ist ein buddhistisches Tohuwabohu aus Tausenden mythologischer Wesen vom fliegenden Elefanten bis zur züngelnden Himmelsschlange, aus Hunderten Opferschalen, in denen Sesamöl flackert, aus Dutzenden Verkaufsständen, an denen Frauen Blattgoldspenden wie Marktweiber ihre Heringe anpreisen. Und auch sonst ist bei aller Heiligkeit genug Platz für Profanes und Skurriles – etwa für haushaltsübliche Fußmatten an Tempeleingängen, auf denen ein herzhaftes „Welcome“ steht, oder für Leuchtreklamen-Buddhas, um deren Köpfe rote und blaue Neonlichter als Symbol der Erleuchtung blinken und die doch eher an amerikanische Tankstellenwerbung erinnern.“ Zitat Ende.

Faszination Fernost/B. Linnhoff

Spielende Kinder sind hier ebenso alltäglich wie der Megaphon-bewaffnete Führer einer munter schnatternden, in strenger Formation vorbei eilenden Gruppe aus Korea oder Japan.

Ein höchst lebendiges Heiligtum erlebe ich auf dem Singuttara-Hügel in Yangon. Das genaue Gegenteil katholischer Gotteshäuser, die mich als Kind mit ihrer einschüchternden Stille und ihrem Zwang zum Stillstehen, Stillsitzen und andächtigen Stillknieen zur Tür hinaus getrieben haben. Selbst die 2600-Jahr-Feier der Shwedagon-Pagode gestaltete sich so quietschfidel und laut, dass auch für Geübte an Meditation nicht zu denken war.

Fünf Dollar kostet der Eintritt für Ausländer, für Einheimische ist er frei. Die ersten Birmaner treffen schon morgens um vier Uhr ein, für die Gäste aus aller Welt werden die Tore um Sechs geöffnet. Wer die Anlage zum Sonnenaufgang besucht oder aber zum Sonnenuntergang, genießt stimmungsvolles Licht und halbwegs moderate Temperaturen. Doch nur wer gegen fünf Uhr nachmittags eintrifft, wird Zeuge eines täglichen und doch außergewöhnlichen Schauspiels. Denn dann heißt es: Auf die Bäume, ihr Touris, die Plattform wird gefegt!

Spirituelles Kehren in der Gruppe

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

In Reih und Glied treten sie an, die Damen, einen Besen in der linken und einen in der rechten Hand. Wen haben wir denn da? Schwäbische Hausfrauen auf Abwegen, Kehrwochen gestählt? Hausfrauen, die in ihrem Urlaub im Zweistundentakt den Fußboden des Flughafens Changi in Singapur sauber lecken, wie Kabarettist Horst Schroth einmal vermutete? Oder doch eher einen Esoterik-Leistungskurs: Spirituelles Kehren in der Gruppe?

Es ist vielmehr so: Jeden Tag melden sich Freiwillige zum Säubern der Marmorplatten. Gewünschte Voraussetzung, aber nicht Pflicht: Sie sollten an diesem Tag Geburtstag haben. Auch Ausländerinnen mischen sich ins Putzgeschwader. Neben mir stand ein Engländer aus Stoke-on-Trent, nennen wir ihn Carl. Er wollte den Blick nicht mehr lassen von seiner Lebensgefährtin, die auf Linksaußen fegte und vor lauter Stolz auf den größten Aktionsradius rote Bäckchen bekam. „Why don`t you do that at home?“, rief Carl ihr zu, was ihm als Antwort ein verspieltes “Shut up!” eintrug. “Sounds familiar”, murmelte Carl, diesmal mehr für sich.

Es wird Nacht in Yangon

Foto Faszination Fernost/B. Linnhoff

Irgendann war genug gekehrt. Es dämmerte, wurde Nacht. Erneut wechselten Licht und Stimmung. Immer mehr Menschen bevölkerten die Plattform, umkreisten die Pagode, immer links herum, das gehört so. Mönche meditierten, Weihrauch lag in der Luft. Scheinwerfer tauchten das Figurenkabinett der Pilger, die Hauptstupa, die 64 kleineren Tempel und Pagoden, die 1485 Glocken und zahllosen Buddhas in warmes Glühen. „Wie ein goldener Hoffnungsschimmer in der Seele dunkler Nacht“, schrieb Somerset Maugham überwältigt.

Bis zehn Uhr ist die Pagode am Abend geöffnet. Mit all den Schnörkeln und Verzierungen, dem Blinken und Leuchten, mit all dem Gold und den mythischen Gestalten mag die Anlage manchem Westler erscheinen wie ein Disneyland für Buddhisten. Denen ist das egal – ihre so einfache wie direkte Verbindung zu diesem Zentrum spiritueller Kraft hält sich nicht mit Marginalien auf.

Ein besonderer Tag

Update 2018: Neues Goldgewand für die Shwedagon-Pagode

Yangon 1: Aung San Suu Kyi – Im Lager der Ikone
Yangon 2: Thanaka und Garküchen
Yangon 3: Vom Altbau zum Neuhaus
Yangon 4: Arsenal in der Seitenstraße