Wir kannten uns schon ein wenig, nun treffen wir uns in Chiang Mai, und unser Gespräch dauert weit länger als geplant. Mit Martin Rüegsegger ergeht es mir an diesem Abend wie schon oft zu meiner Zeit als aktiver Journalist: Wenn mein Gegenüber ausführlich und mit Zwischentönen aus seinem Leben erzählen kann, entfaltet sich eine spannende Biografie.

Vor seiner Auswanderung nach Thailand 2006 war der diplomierte Einzelhandelskaufmann Martin Rüegsegger (heute 55) stellvertretender Leiter der Informatik bei einer Tochterfirma des Schweizer Medienunternehmens tamedia. Seine Auswanderung war kein Zufall. Zuvor betreute der Zürcher  die Webseite des buddhistischen Klosters Wat Srinagarindravararam in Gretzenbach. Seine thailändische Frau Bussaba lernte er 1987 in Zürich kennen, als sie Deutsch an der Benedict Schule lernte. Und auf sein neues Leben bereitete er sich standesgemäß vor: mit einer sechswöchigen Meditation in einem Tempel im Nordosten Thailands.

2006 kaufte er von seinem Schweizer Landsmann Stefan Matter die Firma Matt Productions in Pattaya/Thailand. Zum Unternehmen gehörte auch das 1993 gestartete und bei vielen Expats populäre deutschsprachige Magazin «Der Farang» («Farang» bedeutet im thailändischen Sprachgebrauch weißer Ausländer bzw. Nicht-Asiate). Gedruckte Auflage des Magazins: Zwischen 5000 und 7000 – in der Hochsaison sind mehr deutschsprachige Feriengäste im Land. „Der Farang“ wird nur in Thailand als Printprodukt vertrieben; es gibt jedoch Abonnenten in der Schweiz, Deutschland und Österreich. Preis am Kiosk und im Buchhandel: 60 Thai Baht.

Martin Rüegsegger (Foto: Der FARANG)

Das Interview: 

Bernd Linnhoff/Faszination Fernost: Hat die Meditation deinen Start in Thailand beflügelt?

Martin Rüegsegger: „Sie war wichtig für mein Verständnis der Thais. Der Start aber war fast entmutigend. Von Beginn an wurde ich als neuer Chef von den übernommenen Mitarbeitern betrogen, sie unterschlugen Geld. Das hat mich wahnsinnig getroffen; es blieb bis heute das negativste Erlebnis.“

FF: Was war das positivste?

Martin: „Keiner hat gedacht, dass wir als Unternehmer-Ehepaar lange in Thailand bleiben, das macht mich irgendwie stolz. Und wer hätte daran gedacht, dass wir unser erworbenes Gratis-Blättchen landesweit in den touristischen Zentren Thailands in den Buchhandel bringen würden?“

FF: Was braucht es, um in einem exotischen Land alle 14 Tage ein deutschsprachiges Magazin herauszugeben?

Martin: „Durchhaltevermögen und sehr viel Anpassungsfähigkeit – das gilt jedoch für jeden Auswanderer in ein asiatisches Land. Uns Schweizern ist eine gewisse Bedächtigkeit eigen, sie hilft in einem auf Harmonie bedachten Land wie Thailand. Als Urlauber bist du sowieso entspannt. Wenn du aber in Pattaya lebst und arbeitest, quälst du dich jeden Tag durch Staus und Schlaglöcher, da kehrt im Paradies der Alltag ein.“

FF: Wie lebt es sich in „Sin City“, wie Pattaya auch genannt wird?

Martin: „Als ich den ‚Farang‘ übernahm, war Pattaya der Standort. Es gab keinen Grund, das zu ändern. Die Infrastruktur der Stadt hat sich seither enorm verbessert. Es ist nicht einfach, ein zementiertes Image zu verändern, doch Pattaya ist gerade mitten im Prozess, sich auch als Urlaubsziel für Familien zu profilieren. Die bekanntesten Marken der Luxushotellerie sind hier vertreten, dies nur als Beispiel. Ich kann nur sagen: Es lässt sich hier gut leben. Auch als Zürcher liebe ich das Meer.“

FF: Sprichst du Thai?

Martin: „Meine Frau habe ich ja in der Schweiz kennengelernt. Im Kreis ihrer Familie in Thailand wollte ich aber nicht stumm und ahnungslos daneben sitzen. Erst durch die Sprache und die persönlichen Beziehungen lernst du Thailands Kultur und Mentalität wirklich kennen.“

FF: Die Thailänder gelten als liebenswürdig und entspannt. Auch in der Bürokratie?

Martin: „Sie wird alles andere als lax gehandhabt und auch der Erwerb von Lizenzen ist sehr kompliziert und aufwendig. Unsere Arbeitsgenehmigungen bekamen wir unter der üblichen 4:1-Quote – für jeden Ausländer müssen vier Thais eingestellt werden. Heute zählen wir 12 Angestellte, darunter aus Deutschland unseren Redakteur Björn Jahner, zwei deutschsprechende thailändische Büroangestellte, welche die Anliegen der deutschsprachigen Kunden betreuen und recherchieren.“

FF: Wie klappt die Zusammenarbeit angesichts völlig unterschiedlicher Mentalitäten?

Martin: „Unsere Anzeigenkunden sind Deutsche, Schweizer, Österreicher, Holländer, Franzosen und Italiener, alle anspruchsvoll. Das ist nicht immer leicht für unsere Thai-Kollegen. Denen kommt unsere Art von Präzision nämlich auch exotisch vor. Obwohl sie manches auf die leichtere Schulter nehmen, sind unsere Mitarbeiter sehr zuverlässig. Die meisten haben Universitätsabschluss, sind stolz darauf und bei Kritik umso sensibler: Gesichtsverlust!“

FF: Was bedeutete der politische Wandel seit dem Militärputsch 2014 für eure redaktionelle Arbeit?

Martin: „Es hat sich nichts geändert. Wir berichten sachlich und neutral, nehmen keine Stellung zu politischen Vorgängen. Schon immer galt: Keine Berichterstattung über Mitglieder des Königshauses. Generell ist unsere Recherche aufwendiger als normal. Wegen der völlig unterschiedlichen Sprachen müssen wir immer mehrere Quellen prüfen.“

FF: Wofür steht „DER FARANG“?

Martin: „Ein Mitbewerber schimpfte uns mal das ‚Sonnenblatt von Thailand‘. Das war uns eine Ehre. Genau das wollen wir sein! Unsere Leser, Urlauber und Langzeit-Residenten, haben hart gearbeitet oder tun es noch. Ihnen wollen wir über die trockenen News hinaus die schönen Seiten des Landes präsentieren. Kernaussage: Thailand bietet in seiner Vielfalt jedem das passende Zuhause!

FF: Wie gehst du mit dem digitalen Wandel um?

Martin: „Unsere Print-Auflage ist seit Jahren stabil; da das Magazin oft von Hand zu Hand geht, erreichen wir pro Ausgabe geschätzt etwa 20 000 Leser. Den Transfer ins Digitale haben wir mit Erfolg angepackt: 1500 Menschen abonnierten bisher die günstige, schnelle pdf-Online-Version; 340’000 Visits pro Monat, aktuell ca. 2,9 Mio. Seitenaufrufe. Und wir verdienen Geld damit, durch Abonnenten und Werbung, um die teuren Online- und Serverkosten zu decken. Zudem beziehen 7000 Interessenten täglich unseren Nachrichten-Newsletter per Mail.“

FF:  „Was ist deine Lieblingsdestination in Thailand?“

Martin: „Ich sage es leise, sonst geht da jeder hin: Chanthaburi im Osten des Golfs von Thailand. Schöne Strände, teils überteuerte, teils preiswerte Hotels. Hauptsächlich von Thais besucht; nach unseren Massstäben ist die Region jedoch noch nicht wirklich touristisch erschlossen.“

FF: Welches war der beste Rat, den Du erhalten hast?

Martin: „Von Stefan Matter: ‚Lass dich von deinem Beruf nicht so vereinnahmen, dass du keine Zeit mehr hast für ein Privatleben, für deine Frau.‘ Jetzt sind wir 30 Jahre glücklich verheiratet.“

FF: Wie oft bist du noch in der Schweiz?

Martin: „Dreimal im Jahr. Dann besuche ich in Zürich Mutter (88) und Vater (90). In diesem Sommer nehme ich an zwei Schweizer und einem deutschen Thai-Festival teil, verkaufe dort das Magazin und unsere Thailand-Bücher – so kommen wir mit unserer Leserschaft zusammen, das ist uns ganz wichtig. Auch Sie, liebe User des Blogs Faszination Fernost, sind herzlich willkommen! Wir sehen uns in Bad Homburg, Bülach oder in Bern!“

FF: Denkst du daran, auf Dauer in die Schweiz zurückzukehren?

Martin: „Mein Lieblingsessen ist immer noch Cordon Bleu, und dazu gibt es viele gute Restaurants in Thailand. Doch ernsthaft: Ich leite ein Unternehmen und habe Verantwortung für unsere Mitarbeiter; wir produzieren jede Ausgabe mit Herz, Liebe und Freude. So lange das so bleibt und wir davon alle leben können, bleibe ich in Thailand.“